29.06.2022 - Quasiteilchen überwinden Grenzen
Ein Team des Forschungscampus Mittelhessen hat Quasiteilchen nachge-wiesen, die sich in selbsterzeugten zweidimensionalen (2D-)Kristallen über zwei Lagen erstrecken. Das berichtet eine Forschergruppe um die Physiker Dr. Arash Rahimi-Iman von der Justus-Liebig-Universität Gießen und Profes-sor Dr. Martin Koch von der Philipps-Universität Marburg im Fachblatt „Sci-entific Reports“. Die Forschung zu Material, Molekül und Energie gehört zu den Schwerpunkten des Forschungscampus Mittelhessen (FCMH).
„Schichtkristalle aus der Familie der zweidimensionalen Halbleiter zählen zu den Nanomaterialien, die eine vielversprechende Grundlage für diverse Ein-satzgebiete bieten“, erklärt Martin Koch, der Physik an der Philipps-Universi-tät Marburg lehrt: „Ob als hauchdünner Leitkanal in Transistoren oder aktives Material in der Photonik, die Materialklasse der Übergangsmetalldichalko-genide, vertreten unter anderem durch Wolframdisulfid und -diselenid, hat seit etwa einem Jahrzehnt enorm an Popularität in der internationalen For-schung gewonnen.“ Der federführende Autor Dr. Arash Rahimi-Iman aus Gießen ergänzt: „Sowohl die Abstrahlung als auch die Energieaufnahme von Heterostrukturen stehen weiterhin im Fokus des Interesses. In unseren Ex-perimenten untersuchten wir eine künstlich gestapelte, hauchdünne Schichtstruktur aus Wolframdisulfid und Wolframdiselenid.“
Wie Koch ausführt, ist das Besondere an 2D-Materialien, dass sie als ein-zelne Lagen, sogenannte Monolagen, unter dem Mikroskop oftmals mit blo-ßen Auge erkannt werden können. „Zudem lassen sie sich händisch zu an-spruchsvollen und funktionalen Schichtsystemen stapeln“, legt der Marbur-ger Hochschullehrer dar, der langjährige Erfahrung in der Heterostrukturfor-schung mitbringt.
Die Herstellung geeigneter 2D-Heterostrukturen – frei zusammensetzbarer Stapel aus unterschiedlichen zweidimensionalen Kristallen – brauche jedoch Training, Fingerspitzengefühl und passende Ausgangsmaterialien. Für die Experimente nutzte das Team eine Wolframdisulfid-Monolage aus Professor Dr. Eui-Hyeok Yangs Arbeitsgruppe am Stevens Institute for Technology in den USA; auf diese Unterlage platzierte die Forschergruppe kontrolliert eine zweite Monolage, bestehend aus natürlichem Wolframdiselenid.
Bestrahlt man Halbleiter mit Licht, so entstehen Paare von angeregten Elekt-ronen und Fehlstellen ohne Elektron, die zusammen je ein Quasiteilchen bil-den, das so genannte Exziton. „Dank selbstgestapelter 2D-Kristalle konnten wir deutlich messen, dass sich die Materieanregungen auf zwei verschie-dene Lagen des Materials ausdehnen“, berichtet Kochs Doktorand Moham-med Adel Aly, der zusammen mit den Projektmitarbeitern Manan Shah und Dr. Lorenz Maximilian Schneider die Experimente durchführte. „Auch konn-ten wir eine seitliche Abstrahlrichtung nachweisen.“ Leitautor Rahimi-Iman erläutert, warum das wichtig ist: „Die Abstrahlcharakteristik ist von Bedeu-tung, wenn man zum Beispiel optische Resonanzen der 2D-Halbleiterhe-terostrukturen in photonischen Bauelementen gezielt und effektiv einsetzen möchte – also in hauchdünnen Solarzellen oder Laser.“
Dr. Arash Rahimi-Iman leitet eine eigenständige Arbeitsgruppe am I. Physi-kalischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er erzielte die Ergeb-nisse der aktuellen Studie als Teamleiter in der Arbeitsgruppe Halbleiterpho-tonik von Professor Dr. Martin Koch an der Philipps-Universität Marburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Deutsche Akademische Austausch-dienst, die Philipps-Universität Marburg, das Ägyptische Wissenschaftsminis-terium und die Nationale Wissenschaftsstiftung der USA (NSF) förderten die zugrundeliegende Forschungsarbeit finanziell.
Die Forschung zu Material, Molekül und Energie gehört zu den Schwerpunk-ten des Forschungscampus Mittelhessen (FCMH). Der FCMH ist eine hoch-schulübergreifende Einrichtung der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen, deren Aufgabe in der Stärkung der regionalen Verbundbildung in der For-schung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur liegt.
Originalveröffentlichung: Mohammed Adel Aly, Manan Shah, Lorenz Maxi-milian Schneider & al.: Radiative pattern of intralayer and interlayer excitons in two-dimensional WS2/WSe2 heterostructure, Scientific Reports 2022, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-022-10851-3
- Der Marburger Physiker Mohammed Adel Aly führte zu-sammen mit dem Team um Arash Rahimi-Iman und Martin Koch Experi-mente an zweidimensionalen Halbleiterkristallen aus Wolframdisulfid und Wolframdiselenid durch. Foto: Jan Hosan
Weitere Informationen:
Professor Dr. Martin Koch ist beteililgter Forscher am FCMH Campus-Schwerpunkt „Material, Molekül und Energie“. Die Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien und Materialien ist das zentrale Ziel der gemeinsamen Forschungsaktivitäten der Forschenden im Campus-Schwerpunkt „Material, Molekül und Energie“.
Kontakt:
Professor Dr. Martin Koch
Philipps-Universität Marburg
Fachbereich Physik
E-Mail: martin.koch
Dr. Arash Rahimi-Iman
Justus-Liebig-Universität Gießen
I. Physikalisches Institut
E-Mail: arash.rahimi-iman