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03. September 2024 - Physiologie: Rätsel um ‚stillen‘ Kaliumkanal gelöst

Forschungsarbeit könnte zu nebenwirkungsärmeren Medikamenten führen

Ein jahrzehntelang als ‚still‘ oder gar ‚tot‘ bezeichneter Kaliumkanal in der Zellmembran menschlichen Gewebes hat doch eine entscheidende physiologische Funktion. Der als TASK-5 bekannte Kaliumkanal moduliert nämlich die Funktion verwandter Kanäle, was konkrete Auswirkungen auf Volkskrankheiten wie Vorhofflimmern, pulmonal-arteriellen Bluthochdruck, Schlafapnoe bis zu Krebs haben kann. „Damit bietet TASK-5 einen Angriffspunkt für Medikamente gegen diese Erkrankungen“, sagt Prof. Dr. Niels Decher vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Philipps-Universität Marburg. Mehr noch: Da TASK-5 in verschiedenen genetischen Variationen vorkommt, kann nun abgeschätzt werden, ob ein Medikament im Menschen wirkt oder nicht. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, für diese Erkrankungen nebenwirkungsärmere Medikamente zu entwickeln. Die Forschenden um die Erstautor*innen Privatdozentin Dr. Susanne Rinné und Florian Schick unter der Leitung von Prof. Dr. Niels Decher berichten über ihren Befund im Fachmagazin „Nature Communications“.

„So einen Ionenkanal muss man sich vorstellen wie einen winzigen, selektiven Tunnel in der Zellmembran, der sich öffnet und schließt, um spezifische Ionen hindurchzulassen und dadurch elektrische Signale oder zelluläre Funktionen zu steuern“, erklärt Susanne Rinné. Kalium-Ionenkanäle in Zellmembranen sind entscheidende Akteure im Stoffwechsel und bei der Kommunikation von Zellen im Gewebe. Sie transportieren geladene Kalium-Atome (sogenannte Kalium-Ionen) selektiv durch die Membran. Aufgrund dieser hohen Relevanz für die gesunde oder pathologische Gewebefunktion haben Forschende sich jahrzehntelang mit diesen Kanälen beschäftigt, deren Funktion detailliert beschrieben und diese Ionenkanäle in Gruppen und Familien unterteilt.

Von den in der aktuellen Studie untersuchten Kaliumkanälen wissen die Forschenden und die pharmazeutische Industrie beispielsweise, dass der TASK-1 genannte Kanal hochrelevant für pulmonalen Bluthochdruck und Vorhofflimmern ist, TASK-3 für manche Krebserkrankungen, nur TASK-5 blieb ein Rätsel. „Und das seit seiner Entdeckung vor über zwanzig Jahren“, berichtet Niels Decher. „TASK-5 blieb rätselhaft, da er in verschiedenen menschlichen Geweben vorkommt, seiner Aufgabe – Kalium-Ionen zu transportieren – aber nicht nachkommt“, ergänzt Susanne Rinné.

In ihren Untersuchungen konnten die Forschenden das Rätsel lösen. TASK-5 sucht gewissermaßen Familienanschluss, um sein Schweigen zu brechen: TASK-5 lagert sich hierbei mit TASK-1- oder TASK-3-Kanälen zusammen. Im Doppelpack – Forschende sprechen hier von heterodimeren Kanälen – moduliert TASK-5 die Funktion und Medikamenten-Empfindlichkeit des Kanalpartners. „Das Besondere an diesen Ionenkanälen ist, dass sie sehr vielversprechende Angriffspunkte für Medikamente darstellen“, erläutert Decher.

Eine Vielzahl an Forschenden in Universitäten und Pharmaunternehmen versuchen die Funktionsweise und Pharmakologie dieser sogenannten K2P-Kanäle, zu denen die TASK-Kanäle gehören, zu verstehen und in die therapeutische Anwendung zu bringen. Die habilitierte Erstautorin Susanne Rinné gilt laut dem Bewertungsportal „Expertscape“ in Bezug auf ihre Publikationsliste derzeit als die weltweit führende Forschende auf dem Gebiet der K2P-Kanäle.

Niels Decher leitet die Arbeitsgruppe Vegetative Physiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich weitere Wissenschaftler*innen aus Marburg an der Studie. Ferner gab es eine enge Zusammenarbeit mit Professor Dr. Silke Kauferstein vom Zentrum für plötzlichen Herztod und Kardiogenetik in Frankfurt sowie mit Dr. Thomas Müller von der Bayer AG in Wuppertal.

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Weitere Informationen

Niels Decher ist beteiligter Forschender im Campus-Schwerpunkt "Geist, Gehirn und Verhalten", in welchem das Verständnis der Funktionsweise des Gehirns und des menschlichen Verhaltens ist das zentrale Ziel der gemeinsamen Forschungsaktivitäten ist. Projekte aus dem Bereich der Grundlagen- und translationalen Forschung reichen von der Untersuchung subzellulärer Prozesse bis hin zum gesamten Gehirn und des Verhaltens gesunder Versuchspersonen sowie neurologischer und psychiatrischer Patienten. In interdisziplinären Ansätzen arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Biologie, Informatik, Mathematik, Medizin, Pharmazie, Physik, Psychologie, Sport- und Sprachwissenschaften zusammen, um die Funktionsweise des gesunden wie auch des erkrankten Gehirns zu verstehen. Im Bereich der Verhaltens- und Systemneurowissenschaften nutzen Studien innovative Technologien, wie virtuelle Realität, Computer-Grafik und Animation sowie künstliche Farb- und Beleuchtungswelten. Diese werden ergänzt durch Studien in realen Umwelten, um menschliches Erleben und Verhalten unter alltagsnahen Bedingungen kontrolliert zu untersuchen. Forschende nutzen auch Ansätze und Modelle der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens, um hochmoderne Frühwarnsysteme zu entwickeln, die Menschen, Infrastrukturen und die Wirtschaft auf Extremereignisse und deren Auswirkungen vorbereiten und schützen. Aber nicht nur in der Forschung sondern auch in der Lehre zeigt sich die strategische Bedeutung der Psychologie und der Neurowissenschaften u.a. durch die Einführung forschungsnaher Master-Studienprogramme an den beteiligten Universitäten. Zusammen mit strategischen Investitionen ermöglichen diese Forschungs- und Ausbildungsaktivitäten, auch international die besten Studierenden und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in die Region zu bringen und ihnen die bestmögliche Infrastruktur für ihre Ausbildung und Forschung zur Verfügung stellen zu können. Durch hochkarätige Forschungsverbünde und zahlreiche hochrangige Einzelförderungen hat der Campus-Schwerpunkt "Geist, Gehirn und Verhalten" nationale und internationale Sichtbarkeit erlangt.

Originalveröffentlichung

Susanne Rinné, Florian Schick & al.: Potassium channel TASK-5 forms functional heterodimers with TASK-1 and TASK-3 to break its silence, Nature Communications 2024, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-51288-8

Bild: TASK-5 sucht Familienanschluss, um das Schweigen zu brechen – ein Team der Arbeitsgruppe Vegetative Physiologie, des Instituts für Anatomie der Philipps-Universität Marburg und des Zentrums für plötzlichen Herztod und Kardiogenetik (ZPHK) am Universitätsklinikum Frankfurt fand Neues zur Funktion eines tot geglaubten Kaliumkanals heraus (von links): Dr. Aytug Kiper, Sven Schütte, Florian Schick, Prof. Dr. Niels Decher, Privatdozentin Dr. Susanne Rinné, Prof. Dr. Silke Kauferstein, Dr. Martin Schäfer (Foto: Aytug K. Kiper; das Bild darf nur für die Berichterstattung über die zugehörigen Veröffentlichungen verwendet werden.)

Kontakt

Prof. Dr. Niels Decher
Fachbereich Medizin
Institut für Physiologie und Pathophysiologie
Philipps-Universität Marburg
E-Mail: decher