17. September 2024 - Wunder dauern: Sind bessere Lithium-Ionen-Akkus in Sicht?
Der Lithium-Ionen-Akku gehört zu den wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Doch das Elektroauto braucht noch bessere Batterien. Sind die in Sicht?
Immer wieder findet er den Weg in die Schlagzeilen, der Super- oder Wunderakku, der vermeintlich alles auf den Kopf stellt und flugs den letzten Zweifler von der Elektromobilität überzeugt. Was er können müsste, um diesem Anspruch zu genügen, definiert sich vor allem über die Energie, die der Akku laden und speichern kann. Nimmt man gewöhnliches Benzin als Maßstab, müsste die Energiedichte auf etwa zehn Kilowattstunden je Litersteigen, und die müssten in Sekunden einzuspeichern sein. Das ist unmöglich und wird es auch bleiben, 300 Wattstunden je Liter sind derzeit ein Spitzenwert für eine in Großserie produzierte Batteriezelle.
Dass die Batterietechnik dennoch einen Schwerpunkt nahezu aller nationalen Forschungspläne darstellt, liegt an den Effizienzvorteilen, die eine durchgängig elektrische Energiekette vom Windrad bis zum Rad verspricht. In vielen Anwendungen jenseits des Automobils, vom Rasenmäher bis zur Unterhaltungselektronik, bietet zudem der Verzicht auf die Stromzufuhr per Kabel einen direkten Kundenvorteil – es ist kein Zufall, dass Sony Anfang der Neunzigerjahre den ersten modernen Lithium-Ionen-Akku für eine Videokamera in Serie brachte. Drohnen und mobile Roboter sind ohne leistungsfähige Akkus undenkbar. So wird allerorten, vor allem in Asien, aber auch in Europa an Akkus gearbeitet, die mehr Energie in kürzerer Zeit aufnehmen können. Oder die das können, was andere schon können, nur zu deutlich geringeren Kosten. So oder so soll die Sicherheit darunter nicht leiden, was bei höheren Energiedichtenodergrößeren Ladeströmen kein triviales Problem ist. Ein weiteres Entwicklungsziel aus Sicht der anwendenden Industrien, allen voran der Autobranche, ist eine größere Unabhängigkeit von einzelnen Rohstofflieferanten, wozu funktionierende Materialkreisläufe erheblich beitragen könnten.
Die Batteriezelle, die mit einem einheitlichen technischen Ansatz Fortschritte in all diesen Disziplinen gleichzeitig ermöglicht, wird es vorerst nicht geben, vielleicht sogar nie. Statt sich auf die Suche nach einem einzelnen Superakku zu begeben, scheint es sinnvoll, sich auf verschiedenen Pfaden parallel voran zu tasten. Dass dabei erhebliche Mittel in die evolutionäre Weiterentwicklung konventioneller Lithium-Ionen Technik fließen, ist nicht verwunderlich, sondern einer Kombination aus berechtigtem Interesse an Investitionsschutz und Mangel an verfügbaren Alternativen zu verdanken. Eine konventionelle Lithium-Ionen-Zelle, wie sie bis vor Kurzem in nahezu allen Elektroautos zum Einsatz kam, verfügt über eine Kathode aus Nickel, Mangan und Kobalt, eine Anode aus Graphit und einen flüssigen Elektrolyten– Letzterer ermöglicht den Transport der Lithium-Ionen zwischen Kathode und Anode.
In allen drei Systembestandteilen waren und sind Weiterentwicklungen möglich, die jeweils auch Chancen für den Markteintritt europäischer Unternehmen bieten. Dies gilt beispielsweise für die Anode, das Parkhaus, in dem die Lithium-Ionen die während des Ladens zugeführten Elektronen binden. Ersetzte man das heutige Standardmaterial Graphit vollständig durch Silizium, ließen sich bei gleichem Gewicht theoretisch fast zehnmal mehr Elektronen speichern. Kein Vorteil ohne Nachteil, denn während des Ladens würde das Volumen erheblich zunehmen, weshalb nur ein Teil des Graphits substituiert werden soll. Das von Porsche übernommene Startup Cellforce nannte im vergangenen Jahr als Zielgröße einen Siliziumanteil von 80 Prozent. Auch Mercedes-Benz arbeitet an Anoden auf Siliziumbasis, allerdings mit dem amerikanischen Partner Sila. Gegründet wurde dieses Unternehmen im Jahr 2011, die ersten Autos mit den neuen Akkus kommen voraussichtlich Anfang 2026 in Kundenhand– ein Beispiel dafür, dass neue Batterietechnologien Zeit für
den Weg in den Markt brauchen und allen, die ein schnelles Wunder versprechen, mit gesundem Misstrauen zu begegnen ist. Schon auf dem Markt sind Batteriezellen mit einer sogenannten 8:1:1Chemie. Die Kathode enthält dabei nur noch einen Anteil von jeweils zehn Prozent Mangan und Kobalt statt der früher üblichen 20 Prozent, und das ohne erkennbare Nachteile für Energiedichte oder Dauerhaltbarkeit. Ein inkrementeller Schritt angesichts der von China dominierten Lieferkette für das Übergangsmetall Kobalt nicht bedeutungslos ist. Gänzlich unabhängig machen von asiatischen Rohstofflieferanten könnten sich deutsche Hersteller, wenn sie auf Kathoden aus Eisenphosphat setzten. Zudem lassen sich damit preisgünstigere Akkus herstellen. Die billigsten Elektroautos auf dem deutschen Markt, etwa der Citroën C3, fahren denn auch mit den sogenannten LFP-Akkus,
auch das von Volkswagen versprochene 25.000Euro-Elektroauto wird anders nicht zu realisieren sein. Von Batteriepreisen deutlich geringer als 100 Dollar je Kilowattstunde ist
im Markt die Rede– doch die größten Hersteller sitzen mit BYD und CATL auch hier in China. Die zum Volkswagen-Konzern gehörende Powerco verschafft sich über einen Einstieg bei Gotion immerhin das Wissen, um LFP-Zellen in einigen Jahren auch im neuen Batteriewerk in Salzgitter fertigen zu können. Was Energiedichte betrifft, so erreicht die LFP-Technik nicht das Niveau der Nickel-Mangan-Kobalt Kombination, mindestens 20 Prozent beträgt der Abstand derzeit. Das muss nicht so bleiben, durch Dotierung, sprich die dosierte Zugabe anderer Metalle, könnte der Nachteil ausgeglichen werden. Es scheint allerdings so, als seien es wieder zwei chinesische Anbieter, CATL und Eve, die diese Technik als erste in Serie bringen. Sicher ist, dass LFP-Zellen durch häufiges Laden weniger leiden und daher für Nutzfahrzeuge besonders geeignet sind, von mehr als 2000 Zyklen ohne spürbare Kapazitätsverluste sprach ein Daimler-Ingenieur kürzlich.
Ein teures durch ein billigeres Material zu ersetzen, das wäre auch für den Ladungsträger Lithium möglich. Als Alternative bietet sich Natrium an, heimisch zu geringen Kosten zu gewinnen, zum Beispiel aus Natriumchlorid (Kochsalz). Die deutsche Forschung an Natriumakkus ist weit gediehen– und doch scheint auch hier China einen Vorsprung zu haben. Die ersten, hierzulande nicht verkauften Kleinwagen sind dort schon auf dem Markt. Das mag daran liegen, dass die Energiedichte nochmals geringer als bei den Eisenphosphatzellen ausfällt, was mit dem Premiumanspruch deutscher Hersteller schlecht zu vereinen ist. Und auch das wird so bleiben, wie der Batterieforscher Maximilian Fichtner kürzlich in dieser
Zeitung bekräftigte. „Die Lithium-Ionen-Batterie ist einfach besser, daran hat sich nichts geändert.“ Dem Transportmedium Elektrolyt kommt meist geringe Aufmerksamkeit zu, zum Leidwesen des einzigen deutschen Anbieters E-Lyte, der derzeit eine Produktion in Kaiserslautern aufbaut. Auf einem Batterieforum des Forschungsministeriums zeigte Gründer Ralf Wagner Anfang des Jahres, dass die altersbedingt abnehmende Kapazität eines Lithium-Ionen-Akkus durch die Elektrolytzusammensetzung zu beeinflussen ist. Besonders deutlich werde dieser Effekt bei höheren Betriebstemperaturen, dann sei eine Verdopplung der Lebensdauer möglich. Der Heilige Gral der Akkuforscher gebührt nach wie vor allerdings je
ner Technik, die ohne flüssigen Elektrolyten auskommt: dem Festkörperakku. Dessen großer Vorteil besteht darin, dass er auf der Anodenseite kein Speichermaterial mehr benötigt, weil sich das Lithium als Metall direkt auf dem Stromleiter abscheidet. Im vollständig entladenen Zustand wiegt die Anode daher auch nichts, Fachleute halten eine Verdoppelung, vielleicht sogar eine Verdreifachung der Energiedichte für möglich. Mit einem flüssigen Elektrolyten lässt sich diese Bauweise nicht realisieren, weil sich während des Ladens an der Anode kleine Türme aus Lithium bilden und zu einem elektrischen Kurzschluss führen könnten.
Die große Herausforderung besteht darin, einen Stoff zu finden, der die Ionen gut leitet, gleichzeitig aber die notwendige Stabilität bietet. In den Laboren existieren solche Materialien schon, Oxide auf Basis von Lithium, Lanthan un dZirkonium zum Beispiel. Anders als in der konventionellen Lithium-Ionen-Technik sind deutsche Forscher hier von Anfang an– also seit etwa dem Jahr 2010–involviert. Doch die Start-ups, in die deutsche Autohersteller investieren, sitzen trotzdem in Übersee. So stammt QuantumScape, dessen Festkörperentwicklung Volkswagen bislang mit mehr als 400 Millionen Euro finanzierte, aus Kalifornien; es handelt sich um eine Ausgründung der Universität Stanford. Eine Erfolgsgarantie ist das Geld trotzdem nicht. Doch zumindest zeugen die Prototypen, die das Unternehmen Anfang des Jahres vorstellte, von erheblichen Fortschritten. Auch das in jedem Festkörperakku auftretende Problem des schwankenden Volumens will Quantum Scape durch eine neue Bauweise der Zelle mittlerweile gelöst haben. Powerco hat schon angekündigt, die Zellen von Quantum Scape für mindestens 500.000 Autos jährlich in Lizenz produzieren zu wollen. Ob das jedoch in der deutschen Fabrik in Salzgitter passieren wird, das ist genauso offen wie der Zeitpunkt. Auch andere Hersteller, die am Festkörperakku arbeiten, tun sich schwer, den exakten Zeitpunkt für den Serienstart zu nennen, meist
heißt es: „in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts“. Jürgen Janek, der von der Universität Gießen aus die deutsche Forschung an Festkörperakkus koordiniert, sagt dazu: „Vor 2030 wird das nichts mehr mit der Großserienfertigung.“ Ob ein großer Technologiesprung in der Akkutechnik wirklich kommt und wie günstig das Kosten-Nutzen-Verhältnis dann ausfällt, muss gegenwärtig offenbleiben. Sicher ist allerdings, dass die Bereitschaft, Milliarden in die Produktion neuer Batterietypen zu investieren, wesentlich am Absatz von Elektroautos
hängt. Mehrals80ProzentderWeltnachfrage für Lithium-Ionen-Zellen, so eine ältere McKinsey-Studie, entfallen perspektivisch auf das Automobil. Verlässt das Elektroauto, wie derzeit in Europa zu beobachten, die Überholspur, dann dauert es vermutlich noch etwas länger mit dem Superakku.
Quelle
Frankfurter Allgemeine Zeitung: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/neue-batterietechnik-wunder-dauern-19983487.html
Zur Person
Prof. Dr. Jürgen Janek ist Professor am Fachbereich Mathematik und Informatik, Physik, Geographie, Physikalisch-Chemisches Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen und Forschender im Campus-Schwerpunkt "Material, Molekül und Energie" am Forschungscampus Mittelhessen.
Der Campus-Schwerpunkt "Material, Molekül und Energie", zeichnet sich durch ein hohes Maß an regionaler und internationaler Vernetzung aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Gießen und Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen forschen gemeinsam mit universitären und außeruniversitären Partnern im In- und Ausland interdisziplinär theoretisch, experimentell und anwendungsorientiert. Sie leisten u.a. Grundlagenforschung im Bereich der chemischen und elektrochemischen Stoffspeicherung, beschäftigen sich mit der Erforschung von Substitutionskonzepten für nachhaltige und ressourceneffiziente Materialien, aber auch mit der Weiterentwicklung von Halbleitern, anderen Funktionsmaterialien sowie der Struktur mikroelektronischer Bauelemente für den Betrieb von Zukunftstechnologien z.B. im Bereich der Photonik, Optoelektronik und Elektronik. Neben der strukturellen Charakterisierung auf atomaren Längenskalen untersuchen die Materialforscherinnen und Materialforscher auch die für technische Umsetzungen relevanten makroskopischen Eigenschaften moderner Werkstoffe, wobei mechanische, elektronische und optische Fragestellungen in den Fokus rücken. Sie schaffen die für Anwendungen notwendigen naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen, erforschen die Herstellung und den Einsatz neuartiger Materialien und leisten dabei einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung und praktischen Nutzung zukunftsträchtiger Technologien.Die langfristig gewachsene Kooperation der drei Hochschulen findet u.a. ihren Ausdruck im Materialforschungstag Mittelhessen, auf dem die Gießener und Marburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit über zehn Jahren jährlich abwechselnd in Marburg und Gießen ihre aktuellen Ergebnisse diskutieren.