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06. Oktober 2024 - Neues Insektizid mit einem RNA-Wirkstoff verspricht Schutz vor Kartoffelkäfern.

Ein neues Insektizid mit einem RNA-Wirkstoff verspricht Schutz vor Kartoffelkäfern. Auch andere Schädlinge könnten mit dieser Technologie ohne Kollateralschäden gezielt bekämpft werden.

 Neuartige Insektizide braucht das Land. Hierin sind sich viele Bauern und sogar Umweltschützer für einmal einig. Schädlinge sind ein großes Problem. Weltweit werden bis zu 40 Prozent der Ernte durch Käfer und Co. vernichtet. Viele der derzeit verwendeten Produkte töten nicht nur einen Schädling, sondern auch harmlose und nützliche Insekten und sind zudem ungesund für andere Tiere und auch Menschen. Anfang Jahr ist in den USA ein Insektizid der Firma Greenlight Biosciences zugelassen worden, das mit grossen Versprechungen aufwartet.
 Dank einem völlig neuen Wirkmechanismus soll es sehr spezifisch nur gegen den anvisierten Schädling wirken. Für alle anderen Lebewesen hingegen, egal ob Krabbeltierchen, Feldlerche oder Mensch, soll es ungefährlich sein. Das Mittel heißt Calantha und soll die Kartoffelkäfer dezimieren. Die schwarz-gelb gestreiften Krabbler wurden Anfang des 20. Jahrhunderts aus den USA nach Europa eingeschleppt. Nach der Schule ging es früher vielerorts auf den Kartoffelacker, die Käfer mussten per Hand von den Pflanzen gepflückt werden. Pro gefülltes Konfi-Glas erhielten die Kinder ein paar Rappen. Heute gibt es zwar Mittel gegen die Kartoffelkäfer, doch viele davon sind wirkungslos geworden. Die wahren Feinde der Bauern und der Pommes-frites-Fans sind die Larven: Die Kartoffelkäferweibchen legen ihre Eier auf den Blättern ab. Daraus schlüpfen die Larven, die gnadenlos Blatt um Blatt vertilgen. Eine Horde Larven frisst eine Kartoffelpflanze innert Stunden kahl.

Ähnlich aufgebaut wie DNA

Das soll nun der neue Wirkstoff in Calantha verhindern: ein RNA-Faden. RNA ist chemisch gesehen ähnlich aufgebaut wie DNA. Aber die RNA erfüllt in der Zelle eine andere Aufgabe: Während die DNA die Erbinformation enthält, spielt RNA eine wichtige Rolle bei der Proteinproduktion. Wenn die Larven beim Blätterfressen den RNA-Faden des Insektizids aufnehmen, wird er im Verdauungstrakt in die Darmzellen transportiert. Hier zerschneidet ihn ein Enzym– wie eine Schere einen Wollfaden– in lauter Stückchen. Die kleinen RNA-Stückchen lagern sich dann an eine ganz bestimmte Bauanleitung für ein Protein an und blockieren diese. Das entsprechende Eiweiß kann nicht mehr hergestellt werden. Die Kartoffelkäferlarven sterben innert weniger Tage. Ein RNA-Molekül kann viel spezifischer auf einen Schädling ausgerichtet werden als die Giftmoleküle in herkömmlichen Insektiziden. Denn diese blockieren Prozesse in Nervenzellen, die nicht nur im anvisierten Schädling, sondern auch in vielen anderen Insekten und Tieren existieren. Im Gegensatz dazu blockiert das neue Insektizid ein Molekül, das nur in einem Insekt oder allenfalls in engen Verwandten vorkommt. Um sicherzustellen, dass wirklich nur die Larven der Kartoffelkäfer und nicht etwa jene von Marienkäfern vernichtet werden, habendie Forscher der Herstellerfirma zuerst geschaut, welche Eiweißmoleküle absolut lebensnotwendig sind für die Kartoffelkäferlarven. So wurden potenzielle Ziele bestimmt. Im nächsten Schritt durchforsteten sie Datenbanken, um herauszufinden, bei welchen Insekten die möglichen Zielproteine vorkommen. Ausgewählt wurde dann ein Eiweiß, das so nur Kartoffelkäfer und vier Verwandte besitzen. Zwei davon liess das Insektizid mit dem RNA-Wirkstoff unbehelligt, zwei andere wurden vernichtet. Doch diese zwei sind ebenfalls Schädlinge.
 In weiteren Versuchen wurden Nützlinge wie Marienkäfer oder Bienen im Labor und im Gewächshaus dem Mittel ausgesetzt. Laut der Herstellerfirma schadete es diesen selbst in hohen Konzentrationen nicht. Auch in Feldversuchen in Nordamerika und Europa seien keine negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna festgestellt worden. Umweltschützer befürchten allerdings, dass ein Insektizid mit RNA nicht ganz so spezifisch wirkt wie versprochen. Es ist ja zu erwarten, dass diverse andere Insekten, Fische oder Säugetiere mit dem Mittel in Kontakt kommen und es auch aufnehmen. In Feldversuchen in Europa wurden keine negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna festgestellt. Im Menschen wird ein RNA-Faden bereits im Blut abgebaut. Doch bei manch anderen Lebewesen kann er in die Zellen gelangen. Zum einen besitzen sie aber nicht das Zielprotein und somit nicht die Andockstation für die RNA aus dem Insektizid. Zum anderen sei die Gefahr sehr gering, dass irgendeine andere als die anvisierte Bauanleitung in einem harmlosen Insekt oder einem anderen Tier blockiert werde,  erklärt Aline Koch, langjährige RNA-Forscherin von der Universität Regensburg. Die Bindung einer RNA an eine Bauanleitung für ein Protein sei sehr exakt. «Diese RNA-Interaktionen werden seit Jahrzehnten erforscht, und zwar in vielen Zellarten unterschiedlicher Organismen», betont Koch. Selbst wenn es zu einer nicht erwarteten unspezifischen Bindung an irgendeine Bauanleitung komme, sei es unwahrscheinlich, dass diese einen Effekt habe. Das kleine fremde RNA-Stückchen wird einfach im Laufe der Zeit abgebaut.

Kein Organismus oder Virus

Kritiker wenden ein, dass die Stabilisatoren, die den RNA-Insektiziden beigemischt werden, giftig für Insekten oder andere Tiere sein könnten. Diese Substanzen sollen den Wirkstoff vor UV-Licht oder Regen schützen. Denn RNA zerfällt innert weniger Tage. In Forschungsprojekten wird die RNA zur Stabilisierung zum Beispiel in Minikapseln aus Chitosan verpackt, einem
 Zuckermolekül aus dem Panzer von Krabben. Die Herstellerfirma Greenlight Biosciences gibt aber nicht bekannt, welche Stabilisatoren dem Insektizid gegen Kartoffelkäfer bei gemischt sind. Aber das komplette Produkt war in den diversen Tests ungiftig für die Nutzinsekten. Einer von Gentech-Kritikern verbreiteten Falschinformation tritt Aline Koch im Gespräch vehement entgegen: «Insektizide mit RNA-Wirkstoffen sind keine gentechnisch veränderten Organismen(GVO).Denn ein kurzer RNA-Faden ist kein lebensfähiger Organismus.» Er ist auch kein Virus, das sich in einer Zelle vermehren kann. Auch enthält die RNA in einem Insektizid kein Gen. Bei herkömmlichen Insektiziden ist neben der mangelnden Spezifität auch die Entwicklung von Resistenzen ein großes Problem. So ist der Kartoffelkäfer mittlerweile gegenfünfzig konventionelle Insektizide resistent. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Schädlinge auch gegen die RNA-Wirkstoffe unempfindlich werden. Denkbar ist zum Beispiel, dass die RNA-Stücke nicht mehr vom Darm aufgenommen werden. Oder dass sie nicht mehr effizient an ihre Ziele in der Zelle binden, da es dort Mutationen gab. Gemäß einer Untersuchung der University of Tennessee war die Aufnahme des RNA-Fadens von Zellen der Kartoffelkäferlarven dann stark reduziert, wenn diese elf Generationen lang ununterbrochen mit dem Mittel gefüttert wurden. Das sei allerdings kein realistisches Szenario auf dem Feld, betont Karl-Heinz Kogel, Pflanzenpathologe an der Universität Gießen.

Um der Resistenzentwicklung vorzubeugen, sollten ohnehin immer unterschiedliche Insektizide, also solche mit und ohne RNA abwechselnd oder in Kombination versprüht werden. Oder man müsste RNA gegen mehrere Zielproteine in einem Mittel kombinieren, ergänzt Koch. Beide Befragten sind überzeugt, dass es künftig gegen zahlreiche Schädlinge RNA-Insektizide geben
 werde. Bereits in der Testphase befinden sich Mittel gegen diverse andere Käfer wie den Maiswurzelbohrer oder gegen die Varroamilbe, die sich in den Stöcken von Honigbienen einnistet und diese vernichtet. Auch der invasive Japankäfer ist ein lohnendes Anwendungsgebiet. Koch startet demnächst zusammen mit anderen Forscherteams sowie Zuckerrübenzüchtern ein Projekt gegen die Schilf- Glasflügelzikade. Diese überträgt ein für Zuckerrüben tödliches Bakterium, wenn sie an den Pflanzen saugt. Das neuartige Insektizid soll diese Bakterien töten.
 «Jetzt müssen in Europa die Gespräche mit den Zulassungsbehörden intensiviert werden», fordert die RNAForscherin. Es müsse schnellstmöglich geklärt werden, ob Insektizide mit RNA wie herkömmliche Insektizide getestet werden müssen.

Oder ob diese neuartigen Mittel wie in den USA ein etwas einfacheres und schnelleres Verfahren wie bei Biopestiziden durchlaufen könnten. Klar sei: Jedes neue Mittel müsse im Labor wie auch im Gewächshaus darauf untersucht werden, ob Nutzinsekten oder andere Tiere geschädigt würden.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Karl-Heinz Kogel ist Forschender am Campus-Schwerpunkt "Mikroorganismen und Viren", ehemals "Mikrobiologie und Virologie", verbindet die molekulare, ökologische und medizinische Expertise in Virologie, Mikrobiologie und der Parasitologie der Universitäten Gießen und Marburg sowie der Technischen Hochschule Mittelhessen mit den Kooperationspartnern Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, Paul-Ehrlich-Institut in Langen und Universitätsklinikums Gießen-Marburg.