25. Januar 2025 - Silicon Valley der Insektenzucht
Insekten nehmen als Proteinquelle eine immer größere Bedeutung ein. Am Gießener Fraunhofer-Institut wird diesbezüglich schon lange geforscht. Nun siedelt sich am Institut ein Unternehmen an, das dort eine industrielle Insektenzucht aufbauen will.
Wie es sich für einen Empfang gehört, werden am Freitagabend im Fraunhofer-Institut Häppchen angeboten. Lachsröllchen oder Frikadellen finden sich aber nicht auf den Tabletts, dafür Mehlwürmer und Heuschrecken mit Thai-Gewürz. Das passt zwar zum am gleichen Abend gestarteten Fernsehformat »Ich bin ein Star - Holt mich hier raus«, die Verköstigung hat aber einen anderen Hintergrund. Am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) im Ohlebergsweg siedelt sich die Firma entoSOLUTIONS an. Das frisch gegründete Unternehmen plant dort den Bau eines Gebäudes für die industrielle Insektenzucht und -verwertung.
»Durch das LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie und Bioressourcen ist der Standort Gießen in der Gelben Biotechnologie weltweit führend«, betont Prof. Andreas Vilcinskas, Leiter des Institutsteils Bioressourcen. Unter Gelber Biotechnologie versteht man die Anwendung biotechnologischer Methoden, um mithilfe von Insekten Dienstleistungen oder Produkte zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit Fraunhofer und der Justus-Liebig-Universität sollen mit der Industrieansiedlung innovative Lösungen für die nachhaltige Nutzung von Insekten entwickelt werden.
Insektenzucht in Gießen soll auch für Dünger, Öl, Kosmetik und Co. verwendet werden
Man könnte meinen, durch die steigende Zahl an Menschen, die sich vegetarisch ernähren, nehme die Fleischproduktion ab. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der weltweit gehaltenen Hühner beispielsweise wuchs von 15,8 Milliarden im Jahr 2002 auf rund 26,6 Milliarden im Jahr 2022. Das ist ein Anstieg um 68 Prozent. Auch bei Rindern, Schweinen, Schafen und Enten ist ein Anstieg zu verzeichnen. Das teilte jüngst das Statistische Bundesamt mit und betonte: »Die intensive Nutztierhaltung ist gekennzeichnet durch einen hohen Flächen- und Wasserverbrauch, belastet Böden und Gewässer und trägt mit ihren Emissionen zum Klimawandel bei.« Insekten sind diesbezüglich eine ressourcenschonende Alternative, die gleichzeitig viele Nährstoffe und prozentual deutlich mehr Protein als Fleisch bietet.
Bei dem Vernetzungstreffen am Freitag im Fraunhofer-Institut wurde aber deutlich, dass es den Verantwortlichen um mehr geht als die bloße Herstellung von Insekten-Snacks. Vilcinskas schwebt die Produktion von Pflanzen einschließlich Algen, Pilzen, Insekten, Garnelen und Fischen in einer weitgehend geschlossenen Kreislaufwirtschaft vor. Controlled Environment Agriculture nennt sich dieses Prinzip. »Die Agrarwirtschaft unter kontrollierten Bedingungen abseits von landwirtschaftlich geeigneten Flächen ist ein zentraler Baustein zur resilienten, regionalen Versorgung mit Lebens- und Futtermitteln«, sagt Vilcinskas.
Fertigstellung der Insektenzucht am Fraunhofer-Institut in Gießen für 2026 geplant
Auf einer Fläche hinter dem Fraunhofer-Gebäude soll dafür ein großes Gebäude, eine Art Technikum, entstehen. Ab 2026 sollen dort im großen Stil vor allem Mehlwürmer produziert und verarbeitet werden. Das Besondere daran ist die Verzahnung mit anderen Forschungsgebieten, wie Vilcinskas betont. So würden etwa Nebenströme aus der Landwirtschaft, aber auch aus der Pilzproduktion an die Insekten verfüttert. »Und was bei der Insektenzucht übrig bleibt, das sogenannte Fraß, wird dann als Substrat wieder für das Pilzwachstum verwendet«, sagt der Institutsleiter. Ähnliche Kreislaufe seien auch mit Garnelen möglich, die in einem Projekt der JLU auch in Gießen seit einiger Zeit gezüchtet werden. Zudem gebe es Projekte, bei denen Bestandteile der Insektenzucht auch außerhalb der Tierfutter- und Lebensmittelindustrie verwendet werden. »Wir stellen aus Insekten beispielsweise Kosmetika sowie Hochleistungsschmieröle für die Autoindustrie her«, sagt Vilcinskas.
TIERFUTTER Konkurrenz zu Soja
Auch bei der Tierfutterherstellung versprechen sich die Verantwortlichen einen großen Nutzen. Denn um die Unmengen an Rindern und Co. mästen zu können, ist Soja notwendig. Um das anbauen zu können, werden immense Flächen des Regenwalds abgeholzt. Insekten seien zwar ein viel effizienterer Proteinlieferant, ihre Produktion aber teurer als Soja. »Und wenn es ums Geld geht, ist die Nachhaltigkeit den Menschen schnell egal«, sagt Vilcinskas. Durch die Nutzung von Nebenströmen, das Kreislaufsystem und nicht zuletzt eine Fabrik, in der große Mengen produziert werden, könne der finanzielle Nachteil jedoch ausgeglichen werden.
Campus-Schwerpunkt "Insektenbiotechnologie und Bioressourcen"
Prof. Dr. Andreas Vilcinskas ist beteiligter Forschender am Campus-Schwerpunkt „Insektenbiotechnologie und Bioressourcen“ des Forschungscampus Mittelhessen. Die Forschenden an diesem Campus-Schwerpunkt nutzen biotechnologische Methoden, um Insekten als Ressource für neue Moleküle zur Anwendung in der Medizin, im Pflanzenschutz und in der industriellen Biotechnologie zu erschließen.
Links zum Thema
Originalveröffentlichung: Gießener Allgemeine, 25.01.2025, Gießen soll zum »Silicon Valley der Insektenzucht« werden
von Christoph Hoffmann