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29. Januar 2025 - Fünf Jahre Corona – Gießener Infektiologin Prof. Susanne Herold im Interview

Lungen- und Infektionsforscherin Prof. Susanne Herold war während der Corona-Pandemie weltweit eine der führenden Expertinnen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2. Im Interview blickt sie auf Kontroversen während der Pandemie zurück und gibt ihre Einschätzung über die aktuelle Lage ab.

 

Foto: Gießener Allgemeine, Redaktion

 

Corona hat das Leben der Deutschen in den vergangenen Jahren teils erheblich geprägt. Für Sie als Infektiologin dürfte das besonders gelten.

Ja. Während der Hochphase der Pandemie haben wir schließlich eine erhebliche Zahl schwerstkranker Patienten behandeln müssen. Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren viel darüber gelernt, wie wir mit viralen Erregern von Atemwegsinfektionen umgehen, in der Klinik und auch in der Forschung. Das hat meine berufliche Tätigkeit sehr beeinflusst.

Was sind denn aus wissenschaftlicher Sicht die bedeutendsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre?

Einer der größten Schritte, den die Forschung gemacht hat, ist sicher die Entwicklung der ersten mRNA-Impfung. Dies wird in Zukunft das Spektrum der Prävention von verschiedensten Infektionserkrankungen sehr stark beeinflussen. Gleichzeitig ist die Methode der mRNA-Vakzine nicht auf Infektionserkrankungen beschränkt. Es gibt auch weitere Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel bei Krebs oder anderen Erkrankungen, die man zukünftig hoffentlich einsetzen können wird. Darüber hinaus gab es wegweisende Erkenntnisse zur antiviralen Immunität, und zu den molekularen Krankheitsmechanismen bei Virusinfektionen der Lunge.

Wie sieht denn die aktuelle Corona-Lage aus?

Das Virus ist seinerzeit gekommen, um zu bleiben, es wird uns nicht mehr verlassen. Aber es ist heute weniger gefährlich als zu Beginn der Pandemie. Menschen, die eine schlechte Immunlage oder eine Grunderkrankung haben oder älter sind, sind aber weiterhin gefährdet. Wir behandeln im UKGM auch weiterhin Patienten mit schwerer Covid-19-Infektion, die manchmal auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Aber das ist viel seltener als zu Beginn der Pandemie.

Letztes Jahr gab es schon im Sommer eine Welle.

Ja. Das ist noch nicht ganz so, wie wir es erwartet haben, nämlich dass SARS-CoV-2 wie die anderen respiratorischen Viren fast ausschließlich im Winter auftritt. Faktoren wie die Reisetätigkeit im Sommer beeinflussen das Infektionsgeschehen bei uns weiterhin. Wir gehen aber davon aus, dass SARS-CoV-2 sich zunehmend als saisonales Wintervirus präsentieren wird.

Ist Corona inzwischen mit einer normalen Erkältung vergleichbar?

Covid-19 hat ein breites Erkrankungsspektrum. Es reicht von einer unbemerkten Infektion über eine Erkältungskrankheit, ein schwereres grippeartiges Krankheitsbild bis hin zur Pneumonie, also wirklich zur Lungeninfektion, die schwerer verläuft und die dann in seltenen Fällen auch eine intensivmedizinische Behandlung nötig machen kann. Das ist aber nicht untypisch - auch bei der Influenza, der Virusgrippe, kennen wir das. Für junge, gesunde Menschen wird Covid-19 in den meisten Fällen aber wie eine leichte oder schwere Erkältungskrankheit verlaufen. Bei älteren und/oder vorerkrankten Personen und bei reduzierter Immunlage ist die Gefahr eines schweren Verlaufs größer.

Wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung hatte inzwischen schon einmal Corona?

Man geht davon aus, dass weit über 90 Prozent der Menschen bisher einen Antigenkontakt hatten. Das schließt aber auch die Impfung mit ein.

Welche Auswirkungen hat das auf die Immunität?

Da inzwischen fast jeder mit dem Virus oder mit dem Antigen durch Impfung mehrfach in Kontakt gekommen ist, haben wir bevölkerungsweit eine gute Immunität aufgebaut, die dazu führt, dass der Verlauf der Infektion insgesamt deutlich milder geworden ist. Wer schwere Verläufe durchleidet, konnte oft keine gute Immunität aufbauen, und/oder hat weitere Komorbiditäten, die durch die Infektion akut verschlimmert werden und umgekehrt. Dazu gehören beispielsweise Diabetes, Herz- Nieren- und Lungenerkrankungen, Tumorerkrankungen, sowie Erkrankungen und ihre Behandlungen, die mit eingeschränkter Immunlage einhergehen.

Warum fällt die Infektion bei einigen Menschen dennoch so schwer aus?

Es besitzt zwar nahezu jeder Mensch Antikörper, aber eben in höherer oder niedriger Konzentration. Wer schwere Verläufe durchleidet, konnte oft keine gute Immunität aufbauen. Das betrifft häufig ältere Menschen ab 60, 65 Jahren oder jene mit Grunderkrankungen. Dazu gehören beispielsweise Diabetes, Herz- und Lungenerkrankungen. Und dann gibt es dieses große Spektrum an Erkrankungen, bei denen die Therapien das Immunsystem einschränken. Zum Beispiel Krebs.

Das dürfte sich auch auf die Impfempfehlung auswirken.

Genau. Man kann das eigentlich für die respiratorischen Viren wie Corona, Influenza und RSV insgesamt zusammenfassen: Menschen über 60, bei RSV ab 75, und alle, die schwere Grunderkrankungen haben, sollten sich weiterhin regelmäßig mit den angepassten Impfstoffen impfen lassen. Das trifft auch auf Menschen zu, die im Gesundheitswesen arbeiten. So empfiehlt es auch die Ständige Impfkommission STIKO. Leider sind die Impfraten in Deutschland immer relativ schlecht, da können wir uns wirklich sehr optimieren.

Nicht nur über die Impfung wird im Nachhinein kontrovers diskutiert, sondern auch über die Hygienemaßnahmen. Was hätte man aus heutiger Sicht anders machen müssen?

Mir erschließt sich nicht, weshalb man über die Impfung kontrovers diskutiert - sie hat die Pandemie eingedämmt und letztlich beendet. Ich bin der Meinung, dass die ergriffenen Maßnahmen in ihrem Kontext weitestgehend sinnvoll und notwendig waren. Vermutlich hätte man im Sommer 2021 sogar noch früher mit neuen Maßnahmen beginnen sollen, um diese krasse Winterwelle 2021/22 zu verhindern. Da gab es noch einmal viele Schwerkranke und auch Tote in Deutschland.

Was haben die Maßnahmen denn auf der anderen Seite womöglich verhindert?

Erinnern wir uns an die Bilder aus Bergamo oder New York im Frühjahr 2020. Durch die ausgeprägten Maßnahmen zu Beginn mit dem kompletten Lockdown haben wir uns in Deutschland Zeit verschaffen können, bis dann im Dezember die Impfung auf den Markt kam. Wir haben in Deutschland unglaublich schnell erste PCR-Tests entwickelt, die dann landesweit angewendet werden konnten. Auch die mRNA-Technologie kommt aus langjähriger Forschungsleistung vor der Pandemie. Das zeigt, wie wichtig es ist, in Grundlagenforschung zu investieren.

Wo Sie die Forschung ansprechen: Wie ist der Stand bei der Entwicklung von Medikamenten?

Es gibt mittlerweile einige antivirale Medikamente, die direkt die Virusvermehrung im Körper hemmen. Auch am UKGM wird in verschiedenen großen Forschungsverbünden geforscht und Therapien entwickelt, die bereits in klinische Studien gegangen sind. Das kann nicht nur bei Covid-19 helfen, sondern auch bei anderen Infektionen der Lunge. Dadurch könnte die antivirale Immunantwort sowie die Reparatur der Lunge nach einem schweren Lungenschaden verbessert werden.

Spezifische Medikamente gegen Long-Covid sind aber noch nicht auf dem Markt, oder?

Nein. Derzeit laufen viele klinische Studien. Grundsätzlich müssen wir aber die Pathomechanismen von postviralen Syndromen auf zellulärer und molekularer Ebene erst besser verstehen, um gezielte Therapien entwickeln zu können. Auch daran forschen wir.

Gibt es da konkrete Belege, dass Symptome bei Long-Covid eindeutig einer Corona-Erkrankung zuzuordnen sind?

Das ist in der Tat häufig schwierig und stellt uns im klinischen Alltag vor große Herausforderungen. Es ist meist so, dass die Symptomatik sehr breit gestreut ist, oft mit neuropsychiatrischen oder neuromuskulären Erscheinungen, manchmal Atemnot, Herzrasen und reduzierte Belastbarkeit. Man muss also genau hinschauen, was denn eigentlich vorherrschend ist und welche Symptome durch entsprechende Diagnostik eindeutig verifizierbar sind. Dabei ist auch sehr wichtig, dass andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Hinter Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Atemnot, oder neurologischen Symptomen können auch viele andere Krankheiten stecken.

Wie groß ist die Gefahr, an Long-Covid zu erkranken, und welche Personen trifft es am häufigsten?

Während der Pandemie rechnete man mit sechs bis zehn Prozent der Infizierten - das ist mittlerweile etwas überholt und vermutlich deutlich geringer. Weltweiten Daten zufolge nach trifft es häufiger weiße Frauen und Menschen, die eine psychosomatische Erkrankung in der Vorgeschichte haben.

Da noch keine spezifischen Medikamente auf dem Markt sind, werden auch Off-Label-Produkte eingesetzt, die eigentlich für etwas anderes entwickelt wurden. So kommen etwa Antidepressiva zum Einsatz, um die Schlafqualität zu verbessern. Was halten Sie davon?

Manche Erscheinungen von Long-Covid sprechen auf eine symptomatische Therapie an, so zum Beispiel depressive Zustände auf Antidepressiva. Die Indikation muss aber ein Facharzt stellen. Von vermeintlichen Long-Covid-Therapien, deren Nutzen nicht durch Studien belegt ist, sollte man aber Abstand halten.

Wenn Sie auf die vergangenen fünf Jahre zurückblicken, was haben Sie aus virologischer Sicht gelernt und welchen Einfluss hat das auf potenzielle künftige Pandemien?

Wir konnten in Echtzeit beobachten, wie sich ein Virus, das vermutlich zum ersten Mal auf den Menschen übergegangen ist, an den neuen Wirt und sein Immunsystem kontinuierlich anpasst - und umgekehrt. Diese Erkenntnisse sind enorm wichtig, gerade im Kontext anderer potenziell pandemischer Erreger, wie das H5N1-Influenzavirus. Es ist klar, dass es weiterhin zentral sein wird, infektiologische Forschung - grundlagenwissenschaftlich und klinisch - voranzubringen, um uns zukünftig noch schneller und besser vor neuen und bekannten respiratorischen Erregern zu schützen.

 

Campus-Schwerpunkt "Lunge und Herz"

Prof. Dr. Susanne Herold ist beteiligte Forscherin im Campus-Schwerpunkt  „Lunge und Herz“. Das verbesserte Verständnis des Herz-Lungensystems und die Bekämpfung weitverbreiteter Lungen- und Herzkrankheiten unter Einbezug von systemmedizinischen und medizininformatischen Ansätzen sowie künstlicher Intelligenz sind die zentralen Ziele der gemeinsamen Forschungsaktivitäten der Forschenden im Campus-Schwerpunkt „Lunge und Herz“.

Links zum Thema

Originalveröffentlichung: Gießener Allgemeine, 28.01.2025, "Fünf Jahre Corona – Gießener Infektiologin Prof. Susanne Herold im Interview"
von Christoph Hoffmann