04. Oktober 2024 - Überleben unter Stress: Wie Zellen den Export von Boten-RNA aus dem Zellkern anpassen
Ein Forschungsteam vom Institut für Biochemie gibt Einblicke in den mRNA-Export unter Normal- und Stressbedingungen – Publikation in „Molecular Cell“
Bei Stress reagiert unser Körper unweigerlich: Das Herz beginnt zu rasen, die Muskeln spannen sich an, Stresshormone werden ausgeschüttet. Auf diesen Stress reagieren die einzelnen Zellen. Unter Stressbedingungen – beispielsweise umwelt- oder krankheitsbedingten Belastungen – verändern sie viele verschiedene Prozesse, unter anderem im RNA-Stoffwechsel. Eine Schlüsselrolle spielt die Boten-RNA (mRNA), da sie als Zwischenspeicher für die in den Genen kodierten Baupläne für Proteine fungiert und diese Information aus dem Zellkern in das Zytoplasma eukaryotischer Zellen transportiert. Der Export der mRNA aus dem Zellkern ist daher essenziell für das Überleben der Zelle. Dies gilt insbesondere unter Stressbedingungen, wenn für eine schnelle Anpassung des Stoffwechsels andere Proteine benötigt werden. Um möglichst schnell von Normal- auf Stressbetrieb umschalten zu können, blockieren gestresste Zellen den mRNA-Export der meisten mRNAs und exportieren selektiv stressspezifische mRNAs. Prof. Dr. Katja Sträßer vom Institut für Biochemie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) untersucht den mRNA-Export unter normalen und unter Stressbedingungen. In einem Review-Artikel in der Fachzeitschrift „Molecular Cell“ gibt sie gemeinsam mit Dr. Johanna Seidler, die in ihrer Arbeitsgruppe promoviert hat und dort nun als Postdoc tätig ist, einen Überblick über die Mechanismen des mRNA-Exports. Der Artikel ist auch Teil der „Molecular Cell“-Sonderausgabe „Focus on RNA“.
„Die Regulation des mRNA-Exports als Reaktion auf Stress ist ein bemerkenswert effizienter Mechanismus, um die Genexpression schnell zu verändern“, erklärt Prof. Sträßer. Bei der Genexpression werden im Zellkern zunächst die Gene in mRNA transkribiert. Diese mRNA wird anschließend in das Zytoplasma exportiert, wo die darauf kodierte Information in eine Kette von Aminosäuren übersetzt wird – das Protein. Während des gesamten Prozesses liegt die mRNA nie „nackt“ vor. So ist die mRNA zum Beispiel im Zellkern von speziellen Proteinen gebunden, sogenannten mRNP-Komponenten, die die mRNA zu einem mRNP-Komplex verpacken. Unter normalen Bedingungen rekrutieren einige mRNP-Komponenten, sogenannte Adapterproteine, den sogenannten mRNA-Exporter an die mRNAs, der diese aus dem Zellkern heraustransportiert. Um mit Stress umzugehen, blockieren Zellen den allgemeinen mRNA-Export. Stattdessen exportieren sie selektiv stressspezifische mRNAs, um Proteine zu produzieren, die das Überleben der Zelle bei diesem Stress sichern. „Die Selektivität des mRNA-Exports, d.h. dass die einen mRNAs zurückgehalten werden, während die anderen exportiert werden, ist ein spannendes Phänomen“, sagt Dr. Johanna Seidler.
Trotz dieser Erkenntnisse gibt es noch viele offene Fragen zum mRNA-Export unter normalen und unter Stressbedingungen. So ist beispielsweise wenig darüber bekannt, wie dieser Prozess in verschiedenen Organismen und unter unterschiedlichen Stressarten abläuft oder wie er durch Veränderungen von Proteinen, sogenannte posttranslationale Modifikationen, reguliert wird. Hier wird Prof. Sträßer mit ihrer Arbeitsgruppe weiterforschen: „Unser Ziel ist es ist, die molekularen Mechanismen zu verstehen, die den allgemeinen mRNA-Export unter Stress blockieren und den Transkript-spezifischen mRNA-Export vermitteln“, so die Forscherin.
Der Start des Projektes wurde durch den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) gefördert: Prof. Sträßer hatte 2018 für das Projekt „Nuclear mRNA Packaging and mRNP Architecture“ einen ERC Consolidator Grant erhalten, eine hochdotierte EU-Forschungsförderung für wissenschaftliche Exzellenz. Sie ist zudem Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO), in die führende Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt gewählt werden, und Sprecherin des seit 2018 laufenden DFG-Graduiertenkollegs zu regulatorischen Netzwerken im mRNA-Lebenszyklus (GRK 2355).
Publikation
Johanna Franziska Seidler, Katja Sträßer: Understanding nuclear mRNA export: Survival under stress. Molecular Cell, Volume 84, Issue 19, 3681 – 3691
https://doi.org/10.1016/j.molcel.2024.08.028
Sonderausgabe “Focus on RNA”:
https://www.cell.com/molecular-cell/issue?pii=S1097-2765(23)X0020-3
Weitere Informationen
Prof. Dr. Katja Sträßer ist Forschende am Campus-Schwerpunkt "Mikroorganismen und Viren". Dieser verbindet die molekulare, ökologische und medizinische Expertise in Virologie, Mikrobiologie und der Parasitologie der Universitäten Gießen und Marburg sowie der Technischen Hochschule Mittelhessen mit den Kooperationspartnern Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, Paul-Ehrlich-Institut in Langen und Universitätsklinikums Gießen-Marburg.
Das interdisziplinäre Forschungsfeld adressiert in der Mikrobiologie die gesamte Bandbreite an Mikroorganismen mit ihrer Ökologie, Pathogenese, Genetik und Evolution ebenso wie die zukunftsweisenden Themenfelder Synthetische Mikrobiologie oder Recyclingprozesse.
In der Virologie liegt der Fokus auf der molekularen Aufklärung sowohl weit verbreiteter Erkrankungen durch Influenza oder Coronaviren, als auch von neu und wieder auftretenden Infektionen durch Ebola-, Bunya-, Flavi- oder Paramyxoviren.
In der Parasitologie liegen Schwerpunkte in den Bereichen Malaria und Schistosomiasis, auf Infektionsmodellen sowie Wirkstoff- und Impfstoff-Entwicklung.
In allen Bereichen wird ein grundlegendes mechanistisches Verständnis von der molekularen und zellulären Ebene über mikrobielle Lebensgemeinschaften bis hin zu präklinischen Modellen angestrebt. Dabei steht das Erkennen übergreifender Strategien von Mikroben und Viren sowie deren Interaktion untereinander und mit dem Wirt im Vordergrund. In der translationalen Forschung liegt der Fokus auf der Vorbeugung und Behandlung von Infektionskrankheiten, der Nutzbarmachung von Mikroorganismen, der Verbesserung von Technologien in Pharmaindustrie, Agrarwissenschaften und Chemischer Industrie.
Aus diesen Ansätzen der Grundlagen- und translationalen Forschung ergeben sich auch enge Kooperationen innerhalb des Forschungscampus mit den Schwerpunkten und Profilbereichen "Infektionen und Entzündungen“, "Insektenbiotechnologie und Bioressourcen“, "Digitale Medizin und E-Health“ und "Lunge und Herz“ sowie mit dem Institutsteil Bioressourcen Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie.
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